Das Seelenhaus by Hannah Kent

Das Seelenhaus by Hannah Kent

Autor:Hannah Kent [Kent, Hannah]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783426425701
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2014-03-31T22:00:00+00:00


Pfarrer Tóti verließ Blöndals Arbeitszimmer mit pochendem Kopf. Er musste immerzu an das blasse Gesicht von Agnes denken, ihre leise Stimme in der Dunkelheit und an das Bild des rothaarigen Fridrik, der über einem schlafenden Mann steht und mit einem Hammer ausholt. Hatte sie ihn belogen? Er kämpfte gegen das Bedürfnis, sich gleich im Flur zu bekreuzigen, vor einer Horde geschäftiger Mägde, die mit Milch- und Mülleimern durch die Gänge liefen. Gegen eine Wand gelehnt, zog er seine Stiefel an.

Er war froh, wieder draußen zu sein. Graue Wolken bedeckten den Himmel, aber die kalte Luft und der intensive Fischgeruch, der vom Trockengestell nahe dem Kuhstall herüberwehte, passten zu seiner Verwirrung. Er dachte an Blöndals Fettfinger an seinem Hals. An das Krachen zersplitternder Knochen. An Natan Ketilsson, der um sein Leben flehte. Ihm war speiübel.

»Herr Pfarrer!« Eine Stimme rief ihn. Er wandte sich um und entdeckte Karitas, Blöndals Magd, die eilig hinter ihm herlief. »Herr, Sie haben Ihren Mantel vergessen!«

Tóti lächelte und streckte den Arm aus, um das Kleidungsstück entgegenzunehmen, aber die Frau ließ den Mantel nicht los. Sie zog Tóti an sich heran und flüsterte ihm zu, derweil sie zu Boden blickte.

»Ich muss mit Ihnen reden.«

Tóti war überrascht. »Verzeihung?«

»Pst«, zischte die Frau. Sie schaute rasch zum Knecht hinüber, der nach wie vor die Fische ausnahm. »Folgen Sie mir. Zum Stall.«

Tóti nickte, nahm seinen Mantel und stolperte zu dem großen Kuhstall. Drinnen war es dunkel und roch intensiv nach Dung, obgleich der Stall bereits gesäubert worden war. Er war leer, da die Tiere alle auf der Weide waren.

Er wandte sich um und sah Karitas’ Umrisse gegen das offene Stalltor.

»Ich mag keine Heimlichkeiten, aber …« Sie trat näher, und Tóti bemerkte, dass sie aufgewühlt war.

»Es tut mir leid, dass ich Sie so angepackt habe, aber ich dachte, das sei meine letzte Gelegenheit.« Karitas zeigte auf den Melkschemel, und Tóti setzte sich.

»Sind Sie der Pfarrer, der Agnes Magnúsdóttir betreut?«

»Ja«, sagte Tóti gespannt.

»Ich habe mal auf Illugastadir gearbeitet. Bei Natan Ketilsson. Ich bin 1827 gegangen, ganz kurz bevor Agnes dorthin kam. Sie kam, um meine Stelle als Haushälterin einzunehmen. Jedenfalls hat mir Natan das so erzählt.«

»Verstehe. Und was wünschst du mir zu sagen?«

Karitas schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Der Verrat eines Freundes ist schlimmer als der eines Feindes«, sagte sie schließlich.

»Was meinst du damit?«

»Das stammt aus Gísli Surssons Saga.« Karitas schaute zur offenen Tür, um sicherzugehen, dass keiner kam. »Er hat ihr sein Wort gegeben. Und es dann gebrochen«, flüsterte sie.

»Sein Wort?«

»Natan hat Agnes meine Stelle versprochen. Nur hat er, kurz bevor sie kam, plötzlich beschlossen, sie Sigga zu geben.«

Tóti war verwirrt. Er strich geistesabwesend über die Feder, die Blöndal ihm geschenkt hatte. Er hielt sie noch in der Hand.

»Sigga war jung – fünfzehn oder sechzehn, Herr Pfarrer. Natan wusste, es würde Agnes demütigen, unter ihr zu arbeiten.«

»Ich fürchte, ich verstehe nicht, was du mir sagen willst, Karitas. Warum sollte Natan Agnes eine Stelle versprechen und sie dann einem unerfahrenen Mädchen geben, die nur halb so alt war?«

Karitas zuckte mit den Achseln. »Kannten Sie Natan, Herr Pfarrer?«

»Nein.



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